27.03.2019, bvdn

Stellungsnahme zum Kabinettsentwurf eines Psychotherapeuten-Ausbildungsgesetzes

Stellungnahme des Berufsverbandes der Deutschen Nervenärzte (BVDN) zum Kabinettsentwurf eines Psychotherapeutenausbildungsreformgesetzes (PsychThAusbRefG)

Der BVDN begrüßt ausdrücklich die Veränderungen, welche im Vergleich zum Referentenentwurf vom 03.01.2019 vorgenommen worden sind. Dies betrifft insbesondere

  • die Streichung des Modellstudienganges Psychopharmakotherapie und
  • die Wiederaufnahme der somatischen Abklärung bei Indikationsstellung zur Psychotherapie.

Artikel 1

PsychThG § 1 Berufsbezeichnung, Berufsausübung

Kritisch bewerten der BVDN weiter die Unschärfe bei der Berufsbezeichnung. Sowohl den hilfesuchenden Patienten als auch den Akteuren im Hilfesystem kann die alleinige Bezeichnung „Psychotherapeut“ keinen Aufschluss über die Grundausbildung des Therapeuten geben. Die Bezeichnung „Psychotherapeut“ wird allgemein als Überbegriff für den Behandler betrachtet und diesem werden sowohl medizinische als auch psychotherapeutische Kompetenzen zugeschrieben.

Patienten wünschen eine umfassende Diagnostik und Behandlung. Stellt sich im Rahmen der Diagnostik heraus, dass ausschließlich psychotherapeutische Kompetenz erforderlich ist, so ist der Therapeut, der das Studium der Psychotherapie mit anschließender Weiterbildung absolviert hat, der richtige Ansprechpartner. Sind aber weitere medizinische Untersuchungen und Behandlung neben der Psychotherapie zu bedenken, ist die breite Kompetenz des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. des Nervenarztes mit psychotherapeutischer Weiterbildung erforderlich. Hier zeigt sich, dass der nach dem beschriebenen neuen Heilberuf Ausgebildete eine im Vergleich zu den o. g. Fachärzte eingeschränkte Kompetenz besitzt. Dies muss in der Berufsbezeichnung zu erkennen sein.

Artikel 2

SGB V § 92 Absatz 6a Berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung

Wir begrüßen weiterhin den Willen des BMG, die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen berufsgruppenübergreifend koordiniert und strukturiert zu fördern. Die aus dem TSVG in das PsychThGAusbRefG übernommene und leicht modifizierte Passage ist dazu aber nicht geeignet und bedarf der Erweiterung:

Menschen mit neurologisch-psychiatrischen und psycho-somatischen Erkrankungen haben insbesondere bei schwerem oder chronischem Krankheitsverlauf, aber auch bei Ersterkrankung oder moderater Ausprägung der Beschwerden einen komplexen Behandlungsbedarf, bei dem die psychotherapeutische und neuropsychologische Behandlung nur eine Methode der Behandlung darstellt. Diese sollte eingebettet sein in die medizinische und sozialtherapeutische Behandlung, die sich am Behandlungsbedarf des Patienten orientieren muss. Folgende Aspekte kommen hier zur Geltung:

  • medizinische Diagnostik (liegen somatische Ursachen für beklagte Beschwerden vor?) – insbesondere in der Akutphase einer Erkrankung
  • Medikamentöse Behandlung zur raschen Symptomlinderung, aber auch therapiebegleitend und phasenprophylaktisch
  • Prüfung der Wechselwirkung von Medikamenten – insbesondere bei Multimorbidität und Polypharmazie
  • Interaktion von Medikamenten – besonders bei bestehender medikamentöser Behandlung somatischer Erkrankungen
  • Laboruntersuchungen zu Beginn der Erkrankung und im Verlauf der Behandlung
  • Psychotherapeutische und neuropsychologische Interventionen auch im Rahmen der regulären psychiatrischen-nervenärztlichen Behandlung unabhängig von der Psychotherapierichtlinie – bedarfsorientiert und eingebettet in die psychiatrische, neurologische und nervenärztliche Behandlung
  • Edukationsangebote für Patienten und Angehörigen

Patienten sollen rasch und kompetent sowie bedarfsgerecht versorgt werden. Dies sollte sich nicht an den Bedürfnissen der Versorgungeinrichtungen und „Versorgern“, sondern konsequent an den Patientenbedarfen und den Erfordernissen in Abhängigkeit von Akuität, und Angemessenheit, die sich aus dem Krankheitsbild und dem jeweils aktuellen Krankheitsstadium einschließlich der Teilhabeaspekte beziehen. Damit dies gelingen kann, braucht es erstens eine vernetzte Versorgungsstruktur, zweitens gestufte Versorgungsangebote und drittens eine Instanz, die den Patienten innerhalb der vernetzten und gestuften Versorgungslandschaft koordinierend führt. Grundlage ist hierfür ein an den Patientenbedarfen orientierter Behandlungspfad.

Diese drei Kernelemente einer koordinierten und strukturierten Versorgung (Vernetzung, gestufte Angebote und Koordination) sollen im Folgenden erläutert werden.

Dazu sind vielfältige Aspekte zu bedenken und die psychotherapeutische Behandlung – insbesondere im Rahmen der PT-Richtlinie – ist hier nur eine der zur Verfügung stehenden Methoden. Erst die koordinierte und strukturierte Versorgung mit den unterschiedlichen oben genannten Möglichkeiten nach aktuellem Wissensstand kann eine tatsächliche Verbesserung darstellen. Durch eine entsprechende Vernetzung der an der Behandlung der Patienten in einer Region Beteiligten kann es gelingen, Behandlungsressourcen zu identifizieren und zu steuern. Ein Ziel sollte dabei die Stärkung der Gruppenpsychotherapie sein. Ein Zugang dazu kann durch verbindliche Zusammenarbeit (vernetzte Versorgung) mehrerer Ärzte und Psychotherapeuten vereinfacht werden.

  1. Vernetze Versorgung: Ärztlich und Nichtärztliche Therapeuten aus unterschiedlichen Berufsgruppen sind an der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen beteiligt. Aktuell erfolgen die Behandlungen und auch die nichtmedizinischen Betreuungen parallel. Es gibt kaum Abstimmung zu den Besonderheiten und Erfordernissen des Patienten, denn jeder Versorger stellt dies für sich fest und dem folgen Handlungen. Vernetzung der Versorgung bedeutet Zusammenführung der einzelnen Handlungsstränge zur Schonung von Ressourcen und Klärung der mitunter unterschiedlichen Behandlungsziele. Gerade niedrigschwellige Angebote sowie Gruppentherapiemöglichkeiten werden durch eine vernetzte Versorgung individuell für den Patienten aber auch im gesamten Versorgungssystem leichter zugänglich.
  2. Gestufte Versorgung: Nicht jeder Patient benötigt alle Interventionsmöglichkeiten, die in unserem sehr guten medizinisch-psychotherapeutischen Versorgungssystem möglich sind. Eine Stufung muss erfolgen, die sich am Bedarf des Patienten orientiert. Leitend muss hier der medizinische Bedarf sein und nicht der Wunsch des Patienten. Mitunter bestehen diesbezüglich Differenzen. Erfolgt eine gestufte Versorgung, kommt den komplex Bedürftigen ein hohes Maß an Zuwendung zu – wie es der in einem gut entwickelten Sozialsystem, wie dem unseren, möglich sein sollte.
  3. Koordination: Behandlung durch verschiedene Leistungserbringer muss koordiniert werden. Koordinatoren sind v. a. die Behandler, die diagnostisch den Behandlungsbedarf des Patienten ermitteln und Kenntnisse über die erforderlichen Maßnahmen haben. Dafür müssen Koordinatoren sowohl mit dem dafür notwendigen Zeitbudget als auch finanziell ausgestattet werden.

Die wesentlichen Vorteile einer vernetzten Versorgung:

  • Patienten mit psychischen Erkrankungen haben Anspruch auf medizinische und psychotherapeutische Behandlung – hier ist eine Kooperation erforderlich. Ein Nebeneinander der Behandlungsformen ohne Vernetzung kann für die Patienten nicht nützlich sein.
  • Patienten mit einer schwer ausgeprägten psychischen Erkrankung sind häufig nicht in der Lage, sich die Therapie (medizinisch und psychotherapeutisch, aber auch sozialpsychiatrisch) zu organisieren, die sie brauchen. Insbesondere niedrigschwellige psychotherapeutische Behandlung ist für diese Patientengruppe kaum erreichbar.
  • Niedrigschwellige psychotherapeutische Behandlungsangebote -vor oder anstatt der Aufnahme einer Richtlinienpsychotherapie- sind auszubauen.
  • Das Versorgungsangebot für psychisch Kranke ist erheblich fragmentiert. Selbst unseren hausärztlichen Kollegen fällt es oft schwer, gezielte und indikationsgerechte Überweisungen vorzunehmen. Patienten können die Versorgungslandschaft oft nicht überblicken – hier bedarf es der Vernetzung der unterschiedlichen Akteure, um für die Patienten Wege rascher nutzbar zu machen und Irrwege zu meiden.
  • Eine Priorisierung muss bei den begrenzten Ressourcen erfolgen.
  • Gruppenpsychotherapeutische Angebote müssen deutlich ausgebaut werden, um mehr Patienten versorgen zu können. Dazu bietet sich insbesondere an, niedrigschwellige (psychoedukative) Gruppen zu ermöglichen, sowie das Gutachterverfahren bei der Richtlinien-Gruppentherapie völlig aufzuheben. Eine vernetzte Versorgung durch Nervenärzte/ Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie hätte folgende Vorteile:
  • Kenntnis über das Spektrum des Angebotes der einzelnen Akteure im Netz
  • Entwicklung von Qualitätsstandards (strukturierte Befundübermittlung, Überweisungssteuerung, …)
  • Etablierung von Schwerpunkten innerhalb des Netzes – z. B. gemeinsames Angebot von spezifischen psychotherapeutischen Gruppen, die in Einzelpraxen aufgrund der geringen Fallzahl nicht zustande kommen können
  • Nach der Erstdiagnostik (Ärzte/ Psychotherapeuten) kann ein rascher „Abfluss“ der neuen Patienten erfolgen und es besteht dann die Möglichkeit, schneller freie Termine zur Verfügung zu stellen. Interkollegialer Austausch erhöht die Qualität der Arbeit (z.B. ggf. Durchführung von Fallkonferenzen, Abstimmung eines Gesamtbehandlungsplans, …)

Voraussetzung für Vernetzung:

  • Vernetzung muss vergütet werden, denn sie ist mit einem Mehraufwand verbunden
  • Vernetzung muss von der Basis aus erfolgen durch die Behandler – keine Zusatzkontakte durch Etablierung eines „Lotsen“
  • Digitale Plattform für die Darstellung des Angebotes nach innen und außen muss von der KV gewährleistet werden

Die Versorgung für alle Menschen in Deutschland unabhängig vom Bundesland und unabhängig von der Krankenversicherung muss verbessert werden. Dies kann nur durch Verankerung entsprechender Steuerungselemente im Kollektivvertrag gelingen und sollte durch eine Beschreibung der besonderen Qualität und Erfordernisse vernetzter Versorgung in Anlage zum Bundesmantelvertrag festgeschrieben werden.