25.06.2015, extern

Stellungnahme Justitiar zum Versorgungsstärkungsgesetz 2015

Das Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Versorgungsstärkungsgesetz) wurde Mitte Juni 2015 im Bundestag verabschiedet. Das Gesetz tritt voraussichtlich zum 01. August 2015 in Kraft, sodass bereits in wenigen Wochen die Neuregelungen Gültigkeit beanspruchen.

Der Gesetzgeber setzt seinen bereits mehr als zehn Jahren währenden Reformprozess der vertragsärztlichen Versorgung fort. Wohingegen im Jahr 2004 die Weiterentwicklung bestehender Versorgungsstrukturen und die Einführung bis dahin unbekannter Versorgungsstrukturen, wie insbesondere Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) im Mittelpunkt der Reformen standen und nur wenige Jahre später der Fokus 2007 im Rahmen des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes auf die Liberalisierung der vertragsärztlichen Tätigkeit ausgerichtet wurde, steht spätestens seit 2012 durch das Versorgungsstrukturgesetz und nunmehr jüngst durch das Versorgungsstärkungsgesetz die Stabilisierung und Weiterentwicklung der flächendeckenden Versorgung im vertragsärztlichen Bereich im Mittelpunkt der Bemühungen.

Für niedergelassene Ärzte in vertragsärztlichen Praxen – gleich ob in Einzelpraxis, in einer Berufsausübungsgemeinschaft oder einem MVZ – ergeben sich dadurch ganz erhebliche neue Herausforderungen. Einerseits resultieren diese aus dem sich immer weiter verstärkenden Wettbewerb im ambulanten vertragsärztlichen Versorgungsbereich. Andererseits folgen sie aber auch gerade daraus, dass der Gesetzgeber – wie durch die vorangegangenen Reformen bereits hinreichend bestätigt – mit den entsprechenden Neuregelungen Chancen bietet, durch kluge und umsichtige Gestaltungen die bestehenden Praxisstrukturen weiterzuentwickeln und in ihrer Bedeutung für die Versorgung der Patienten deutlich zu stärken.

Nachfolgend werden nun überblickartig – und selbstverständlich nicht abschließend – einige der Neuregelungen des Versorgungsstärkungsgesetzes vorgestellt. Es empfiehlt sich eine möglichst frühzeitige Auseinandersetzung mit diesen Regelungen und dem Gesetz insgesamt. Wie aus den Erfahrungen mit den vorangegangenen Reformen seit 2004 hergeleitet werden kann, handelt es sich bei der jüngsten Reform des Jahres 2015 keinesfalls um eine reine Korrektur und bloße Klarstellung mit Blick auf bestehende rechtliche Rahmenbedingungen. In weiten Teilen leitet der Gesetzgeber eine grundlegende Neustrukturierung im Sinne einer flächendeckenden vertragsärztlichen Versorgung ein.

I. Praxisnachbesetzungsverfahren

Bereits mit dem Versorgungsstrukturgesetz 2012 wurde das Nachbesetzungsverfahren vertragsärztlicher und vertragspsychotherapeutischer Praxen neu geregelt und letztlich zweistufig ausgestaltet. Auch wurde eine Entschädigungsregelung normiert, die den Fall betrifft, dass die Praxisausschreibung nicht erfolgt und ein entsprechender Antrag vom zuständigen Zulassungsausschuss abgelehnt wird. Diese Regelungen werden vom Versorgungsstärkungsgesetz nunmehr maßgeblich weiterentwickelt.

1. Ausschreibung der vertragsärztlichen Praxis („Praxisaufkauf“)

Zu Beginn des Verfahrens zur Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes in einem Planungsbereich, in dem Zulassungsbeschränkungen bestehen, hat der Zulassungsausschuss nach bereits geltendem Recht – quasi auf einer ersten Stufe – über die Frage zu entscheiden, ob ein Nachbesetzungsverfahren überhaupt erfolgen soll, dem Ausschreibungsantrag des betroffenen Vertragsarztes also zu entsprechen ist.

Den Ausschüssen wurde auf diese Art und Weise die Möglichkeit eingeräumt, Nachbesetzungsverfahren nicht durchzuführen und entsprechende Anträge abzulehnen, wenn im Rahmen einer Ermessensentscheidung – insoweit war bisher eine reine „Kann-Regelung“ maßgeblich – aus Versorgungsgründen die Nachbesetzung nicht für erforderlich gehalten wurde. Bereits diese – bekannte und bislang geltende – Regelung diente der Versorgungsstärkung in unterversorgten und dem Abbau der Überversorgung in anderen Gebieten.

Wie der Gesetzesbegründung zum Versorgungsstärkungsgesetz nunmehr allerdings zu entnehmen ist, haben die Zulassungsausschüsse deutschlandweit davon kaum, in manchen KV-Bezirken ganz offensichtlich gar keinen, Gebrauch gemacht. Der Gesetzgeber sah sich daher dazu veranlasst, die bisherigen Regelungen anzupassen und zu verschärfen. Verfolgt wird damit das Ziel, zu erreichen, dass Vertragsarzt- und Vertragspsychotherapeutensitze, die für eine bedarfsgerechte Versorgung gerade nicht mehr benötigt werden, konsequent abgebaut werden. Mehr Ärzte sollen für die Versorgung in weniger gut versorgten Regionen zur Verfügung stehen.

Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens sollte deshalb aus der bisherigen „Kann-Regelung“ mit Blick auf den Praxisaufkauf generell eine „Soll-Regelung“ werden. Die Zulassungsausschüsse wären deutschlandweit dadurch zwangsläufig in weitergehendem Umfang dazu verpflichtet gewesen, Nachbesetzungen zu verweigern. Das bisherige Recht eine Ermessensentscheidung zu treffen, wäre weitgehend entfallen. Die Regelung war verständlicherweise im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens überaus umstritten und stieß im Rahmen der Ärzteschaft auf große Befürchtungen. Manche sahen die Verwertung ihrer Praxis grundlegend als gefährdet an.

Legislativ wurde letztlich nunmehr ein Kompromiss fixiert. Dieser geht dahin, dass in rechnerisch überversorgten Gebieten die Zulassungsausschüsse Anträge von Vertragsärzten und Vertragspsychotherapeuten auf Nachbesetzung ihres Sitzes dann ablehnen „sollen“, wenn eine Fortführung der Praxis aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist und der Versorgungsgrad 140% oder mehr beträgt. Die bislang geltende „Kann-Regelung“ wurde somit keinesfalls aufgehoben, sondern im ihrem Anwendungsbereich bestätigt, gleichwohl aber eingeschränkt. Sie kommt ab einem Versorgungsgrad von 110 % zum Tragen, bis zur Grenze des Versorgungsgrades von 140 %.

Soweit sich der Zulassungsausschuss bei seiner Entscheidung im Bereich der „Kann-Regelung“ befindet, hat er die Entscheidung im Rahmen einer Ermessensausübung zu treffen und zu begründen. Befindet sich der Zulassungsausschuss demgegenüber allerdings im Bereich der „Soll-Regelung“ so tritt eine weitergehende Bindung ein. Aufgrund der „Soll-Regelung“ – so die Gesetzesbegründung – haben die Zulassungsausschüsse zwar nach wie vor die Möglichkeit, einem Antrag auf Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes auch in bedarfsplanungsrechtlich überversorgten Planungsbereichen (ab 140% Versorgungsgrad) zu entsprechen, sie müssen dies allerdings aus Versorgungsgründen für erforderlich erachten. Im Rahmen des konkreten Nachbesetzungsverfahrens wird sich daher häufig die zu treffende Beurteilung und Entscheidung darauf fokussieren, ob es aus Versorgungsgründen nicht gegebenenfalls doch erforderlich ist, einem entsprechenden Antrag auf Nachbesetzung stattzugeben.

2. Privilegierungen

Zu berücksichtigen ist daneben, dass es bestimmte Regelungen gibt, nach denen ein Zulassungsausschuss dem Nachbesetzungsantrag eines Vertragsarztes oder Vertragspsychotherapeuten stattgeben muss, mit der Folge, dass die Ausschreibung zu erfolgen hat.

Ausdrücklich angesprochen sind damit Privilegierungen, also Ausnahmetatbestände, die die positive Beurteilung des Ausschreibungsantrages zur Folge haben, völlig unabhängig von der Versorgungslage. Im Gesetz bezeichnet sind damit beispielsweise Fälle, bei denen der weiterführende, vorgesehene Nachfolger in der Vergangenheit mindestens fünf Jahre vertragsärztliche Tätigkeit in einem unterversorgten Gebiet ausgeführt hat, oder aber der Bewerber Ehegatte, Lebenspartner oder ein Kind des bisherigen Vertragsarztes ist. Bevorzugt behandelt wird auch der Fall, dass der Bewerber ein angestellter Arzt des bisherigen Vertragsarztes oder selber ein Vertragsarzt ist, mit dem die Praxis bisher gemeinschaftlich betrieben wurde, soweit das Anstellungsverhältnis bzw. der gemeinschaftliche Betrieb mindestens drei Jahre lang andauerte. Vom Gesetz ausdrücklich aufgegriffen wird zudem der Fall, dass sich ein Bewerber verpflichtet, die Praxis in ein anderes Gebiet des Planungsbereiches zu verlegen, in dem nach Mitteilung der Kassenärztlichen Vereinigung aufgrund einer zu geringen Ärztedichte ein Versorgungsbedarf besteht.

Insbesondere die Regelungen zur kooperativen Tätigkeit mit dem Praxisabgeber im Vorfeld der Praxisübernahme, aber auch die angeführten Privilegierungstatbestände der bisherigen Tätigkeit im unterversorgten Bereich bzw. die nach Übernahme evtl. vorgesehene Verlegung der Praxis in einen unterversorgten Bereich bieten Möglichkeiten, die Ausschreibung der Praxis und deren Nachbesetzung in bestimmten Grenzen abzusichern. Dies setzt allerdings frühzeitige Überlegungen und Planungen voraus, denen nunmehr besondere Bedeutung zukommen kann.

3. Entschädigung

Hat der Zulassungsausschuss den Antrag auf Nachbesetzung abgelehnt, hat die Kassenärztliche

Vereinigung dem Vertragsarzt oder seinen zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben eine

Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes der Arztpraxis zu zahlen. Diese Regelung wurde bereits durch das Versorgungsstrukturgesetz 2012 ins SGB V eingeführt. Allerdings gab es keine näheren Erläuterungen dazu, wie dieser Begriff zu verstehen ist. Der Verkehrswert kann durchaus anhand unterschiedlicher Bewertungsmodelle ermittelt werden, sodass der Gesetzgeber durch die Verwendung des Begriffs zunächst in der Praxis Unsicherheiten begründete.

Darauf ausgerichtet wurde im Gesetz nunmehr klargestellt, dass bei der Ermittlung des Verkehrswertes auf den Wert abzustellen ist, der bei Fortführung der Praxis maßgeblich wäre. Die wirtschaftlichen Interessen des ausscheidenden Vertragsarztes oder seiner Erben sind dabei durchaus zu berücksichtigen, dies allerdings nur insoweit, als der am Markt an sich zu erzielende Kaufpreis die Höhe des Verkehrswertes der Praxis nicht übersteigt.

II. Medizinische Versorgungszentren

Auch im Rahmen der Reform 2015 hat sich der Gesetzgeber ein weiteres Mal mit den Regelungen zur Begründung und zum Betrieb Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) beschäftigt und einige grundlegende Neuregelungen ins Gesetz aufgenommen. Es ist zu erwarten, dass MVZ auch zukünftig weiter in ihrer Bedeutung als Versorger im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung gewinnen werden.

1. Fachgleiche Medizinische Versorgungszentren

In Zukunft müssen Medizinische Versorgungszentren nicht mehr fachübergreifend ausgestaltet sein, um den Betrieb aufnehmen zu können. Das entsprechende Kriterium wurde im Gesetz gestrichen.

Dadurch ergeben sich weitergehende Möglichkeiten zur Ausgestaltung Medizinischer Versorgungszentren bereits  bei auch nur fachgleicher Tätigkeit der im MVZ tätigen Ärzte. Dies wiederum führt dazu, dass reine Hausarzt-MVZ und auch facharztgruppengleiche MVZ möglich werden. Betrieben werden können auch MVZ, in denen ausschließlich Zahnärzte ihre Tätigkeit ausführen. Dies gilt gleichsam für den Betrieb eines MVZ ausschließlich mit Psychotherapeuten oder Ärzten, die der psychotherapeutischen Arztgruppe angehören.

Scheiterte die Begründung eines MVZ in der Vergangenheit in bestimmten Fällen daran, dass eine zweite „Disziplin“ nicht gefunden werden konnte, um die Voraussetzung der fachübergreifenden Tätigkeit zu erfüllen, besteht nunmehr eine deutliche Vereinfachung der Gründungsvoraussetzungen. Dies wird auch für Krankenhäuser von erheblichem Interesse sein, da diese gerade über die Begründung und den Betrieb Medizinischer Versorgungszentren in den vergangenen Jahren in erheblichem Umfang an der vertragsärztlichen Versorgung partizipierten und jegliche Erleichterung in diesem Bereich positiv aufnehmen werden.

2. Erleichterungen im Nachbesetzungsverfahren

Auf der Grundlage des bislang geltenden Rechtes konnten sich MVZ auf eine ausgeschriebene Zulassung nur dann bewerben, wenn sie im Nachbesetzungsverfahren bereits einen konkreten Arzt benennen konnten, der die Tätigkeit im MVZ ausführen sollte. Im Rahmen der vom Zulassungsausschuss zu treffenden Auswahlentscheidung waren nämlich bislang letztlich nur personenbezogene Kriterien zu berücksichtigen und der konkret vorgesehene Arzt musste bekannt sein, um die Entscheidung durch den Zulassungsausschuss überhaupt zu ermöglichen. In der Praxis stieß dies häufig auf erhebliche Probleme. Der betreffende Arzt konnte vom MVZ zumeist erst dann gewonnen werden, wenn überhaupt feststand, dass die Zulassung/Arztstelle dem MVZ im Nachbesetzungsverfahren zugewiesen werden würde.

Nunmehr sieht das Gesetz demgegenüber vor, dass ein MVZ sich auf die Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes ohne konkrete Angabe des vorgesehenen Arztes bewerben kann. Auch anstelle der an sich einschlägigen – und bislang bekannten – Kriterien zur Auswahlentscheidung nach der Ärzte-Zulassungsverordnung (Ärzte-ZV) darf der Zulassungsausschuss die Ergänzung des besonderen Versorgungsangebotes des Medizinischen Versorgungszentrums als Auswahlkriterium in der Entscheidungsfindung berücksichtigten. Dies kann – so die Gesetzesbegründung – insbesondere dann der Fall sein, wenn mit der neuen Zulassung ein besonderes Versorgungskonzept des Medizinischen Versorgungszentrums ermöglicht oder ergänzt wird. Immerhin – so der Gesetzgeber – erfüllten MVZ als eigenständige Leistungserbringer einen wichtigen Beitrag zur Versorgung der Versicherten. Vor allem dann, wenn das MVZ ein fachübergreifendes ärztliches Leistungsspektrum anbiete, stehe dabei die „Versorgung unter einem Dach“ als Leistungserbringungszweck im Vordergrund. Daraus sei die Erkenntnis gewonnen worden, dass diesem besonderen Versorgungszweck dadurch Rechnung getragen werden müsse, dem MVZ zukünftig zu ermöglichen, sich mit seinem besonderen Versorgungskonzept auf einen ausgeschriebenen Vertragsarztsitz zu bewerben.

3. Kommunen als Träger Medizinischer Versorgungszentren

Auch Kommunen können zukünftig Medizinische Versorgungszentren gründen. Diese Alternative zur Trägereigenschaft wurde nunmehr ausdrücklich vom Versorgungsstärkungsgesetz berücksichtigt und ins Gesetz aufgenommen.

Weiterhin wurde festgelegt, dass die Gründung eines MVZ nicht nur in der Rechtsform einer Personengesellschaft, einer eingetragenen Genossenschaft oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung möglich ist, sondern auch in einer öffentlich-rechtlichen Rechtsform.

Hintergrund ist der, dass die Gründung eines MVZ in der privatrechtlichen Gesellschaftsform der GmbH den Kommunen in der Praxis regelmäßig Schwierigkeiten bereitet. Dies hängt häufig damit zusammen, dass beizubringende Bürgschaftserklärungen, die das Gesetz zur Begründung von Medizinischen Versorgungszentren verlangt, nach Landesrecht unterschiedlichen und zum Teil sehr hohen Anforderungen unterzogen werden. Auch die anderen bislang vorgesehenen Rechtsformen – so die Gesetzesbegründung – eigneten sich nur beschränkt für Kommunen. Deshalb müsse Kommunen nunmehr die Gründung eines MVZ nicht nur in der Rechtsform des privaten Rechts, sondern gerade auch in der öffentlich-rechtlichen Rechtsform des Eigenbetriebs und des Regiebetriebs ermöglicht werden.

Für das Zulassungsnachbesetzungsverfahren ist in diesem Zusammenhang von erheblicher Bedeutung, dass für von Kommunen begründete Medizinische Versorgungszentren die sog. „Nachrangklausel“ im Rahmen des Zulassungs-Nachbesetzungsverfahrens Gültigkeit beansprucht, was bedeutet, dass sie im Verfahren der Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes gegenüber ärztlichen Bewerbern nachrangig zu berücksichtigen sind.

Die Neuregelung bedeutet im Ergebnis, dass Kommunen ganz gezielt in die regionale Versorgung der Patienten eingreifen können. Der Gesetzgeber möchte dabei jedoch die Postion der Ärzte nicht dergestalt schwächen, dass Kommunen im Zulassungsverfahren letztlich gleiche Rechte erhalten. Stehen allerdings andere Ärzte im Nachbesetzungsverfahren nicht zur Verfügung, dann können die Kommunen mit ihrem MVZ zum Zuge kommen und Versorgungsaufgaben wahrnehmen.

III. Neuregelungen zur Gleichstellung angestellter Ärzte mit Vertragsärzten

In der Vergangenheit stellte man immer wieder fest, dass angestellte Ärzte, die in dieser Funktion an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, gegenüber Vertragsärzten ungleich behandelt wurden. Es fehlten jedenfalls in vielerlei Hinsicht klarstellende Regelungen. Beispielsweise konnte in der Vergangenheit nur ein Vertragsarzt selber einen Vertreter bestellen, für einen angestellten Arzt war dies dem Gesetz unmittelbar nicht zu entnehmen. Obgleich nach der Ärzte-ZV die Regelungen dieser Verordnung entsprechende Anwendung für angestellte Ärzte finden sollen, wurde dem in der Praxis häufig nicht entsprochen. Es bestanden daher erhebliche Unsicherheiten und äußerst unterschiedliche Verfahrensweisen in den einzelnen KV-Bezirken. Der Gesetzgeber hat dieses Problem erkannt und mit dem Versorgungsstärkungsgesetz hinsichtlich mehrerer Aspekte einer Lösung zugeführt.

1. Vertretung angestellter Ärzte

In der Ärzte-ZV wird nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass die Beschäftigung eines Vertreters für einen angestellten Arzt grundsätzlich – nach den allgemeinen Regelungen, die auch für Vertragsärzte gelten – zulässig ist.

Die Beschäftigung des Vertreters ist darüber hinaus bis zu sechs Monaten zulässig, wenn der angestellte Arzt entweder freigestellt ist oder das Anstellungsverhältnis durch Tod, Kündigung oder aber aus anderen Gründen beendet ist. Hat der angestellte Arzt einen gesetzlichen Anspruch auf Freistellung, ist eine Vertretung für die Dauer der Freistellung zulässig.

2. Verlegung der Tätigkeit angestellter Ärzte

Durch eine im Versorgungsstärkungsgesetz vorgesehene Ergänzung der Ärzte-ZV wird die Verlegung einer Anstellungsgenehmigung eines MVZ in ein anderes MVZ – soweit beide MVZ gleicher Trägerschaft unterliegen – ermöglicht. Es finden die Vorgaben Anwendung, die für die Sitzverlegung einer vertragsärztlichen Praxis mit entsprechender Zulassung gelten.

3. Ruhen der Arztstelle

Die Vorschriften zum Ruhen einer Zulassung gelten nunmehr entsprechend auch für das Ruhen der Arztstelle, auf der die genehmigte Anstellungstätigkeit durch einen angestellten Arzt ausführt wird.

4. Abrechnungsprüfung

Gegenstand der arztbezogenen Plausibilitätsprüfung ist bereits seit Jahren insbesondere der Umfang der je Tag und auch je Quartal abgerechneten Leistungen im Hinblick auf den damit verbundenen Zeitaufwand des Arztes, hinterlegt mit den aus dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) resultierenden Prüfzeiten. Das Versorgungsstärkungsgesetz stellt klar, dass Vertragsärzte und angestellte Ärzte entsprechend ihres jeweiligen Versorgungsauftrages gleich zu behandeln sind.

5. Ergänzung der Gebührenregelungen im Zulassungsverfahren

Der Zulassungsausschuss erhält durch das Versorgungsstärkungsgesetz und Anpassungen der Ärzte-ZV die Möglichkeit, von der Erhebung von Gebühren für das Zulassungsverfahren abzusehen oder aber die Gebühren jedenfalls zu reduzieren, wenn dies aus Versorgungsgründen angezeigt erscheint.

Bei der Nachbesetzung einer genehmigten Anstellung sind die Gebühren – so gesetzlich ausdrücklich geregelt – um 50% zu reduzieren. Hintergrund ist der, dass vor allem bei großen Praxiskonstrukten mit ggfs. einer Vielzahl angestellter Ärzte immer wieder Anpassungen hinsichtlich der tatsächlich beschäftigten Ärzte, sei es in der Person, oder auch nur im Umfang ihrer Tätigkeit begründet, erforderlich werden. Die Gebühren jeweils in voller Höhe in Rechnung zu stellen stünde dabei nicht immer im Verhältnis zu dem teilweise nur geringen Verwaltungsaufwand.

IV. Anpassung der bestehenden Regelungen für Wirtschaftlichkeitsprüfungen

Das Versorgungsstärkungsgesetz sieht wesentliche Neustrukturierungen im Hinblick auf die Regelungen zu Wirtschaftlichkeitsprüfungen vor. Zunächst sollen die bekannten und gültigen Regelungen für eine Übergangszeit fortgelten. Mit Wirkung ab dem 01.01.2017 kommt es sodann zu grundlegenden Änderungen.

Ab diesem Zeitpunkt gilt der Grundsatz, dass die Wirtschaftlichkeit der Versorgung mit ärztlich verordneten Leistungen anhand von Vereinbarungen der Selbstverwaltungspartner auf Landesebene geprüft wird. Die Vertragspartner auf Landesebene sind bei der entsprechenden Ausgestaltung grundsätzlich frei, es werden allerdings bundeseinheitliche Rahmenvorgaben folgen, die den Vereinbarungen auf Landesebene vorgehen.

Folge dieser Neuregelung ist beispielsweise, dass ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser ergänzenden Regelungen die Richtgrößenprüfung nicht mehr zwingend als Regelprüfmethode bundeseinheitlich vorgeschrieben ist. Sie wird dadurch allerdings auch keinesfalls abgeschafft. Kommt es nämlich zu einer Vereinbarung auf regionaler Ebene bis spätestens zum 31.12.2016 dahingehend, dass die Richtgrößenprüfung weiterhin Anwendung finden soll oder wird bis dahin keinerlei Regelung getroffen, bleibt die Richtgrößenprüfung bestehen.

Im Bereich der sonstigen ärztlichen Leistungen wird zudem eine Zufälligkeitsprüfung von mindestens zwei Prozent aller Vertragsärzte bundesweit vorgeschrieben.

Im Ergebnis werden die bekannten Prüfverfahren keinesfalls ohne weiteres an Bedeutung verlieren. Sie werden allerdings zunehmend regionalisiert und daher ggfs. von KV zu KV unterschiedlich ausgestaltet sein.

V. Terminservicestellen

Die KVen sind zukünftig verpflichtet, Terminservicestellen einzurichten. Sie sollen damit ihrem Sicherstellungsauftrag im Hinblick auf eine angemessene und zeitnahe Zurverfügungstellung der fachärztlichen Versorgung für Patienten Rechnung tragen.

Innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes (somit voraussichtlich ab dem 01.02.2016) sind die entsprechenden Stellen einzurichten. Sie können von der KV auch in Kooperation mit den Landesverbänden der Krankenkassen und der Ersatzkassen betrieben werden. Terminservicestellen werden voraussichtlich ab 2017 auch im Bereich der Psychotherapie eingeführt.

Die Terminservicestelle ist dazu verpflichtet, Versicherten bei Vorliegen einer Überweisung zu einem Facharzt innerhalb einer Woche einen Behandlungstermin bei einem ambulant tätigen vertragsärztlichen Facharzt  zu vermitteln. Einer Überweisung bedarf es nicht, wenn ein Behandlungstermin bei einem Augenarzt oder einem Frauenarzt vom Patienten begehrt und von der Terminservicestelle zu  vermitteln ist.

Die Wartezeit des Patienten auf den zu vermittelnden Behandlungstermin darf vier Wochen nicht überschreiten. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Entfernung zwischen Wohnort des Patienten und dem vermittelten Facharzt zumutbar sein muss.

Kann die Terminservicestelle keinen Behandlungstermin bei einem entsprechenden Leistungserbringer anbieten, hat sie einen ambulanten Behandlungstermin in einem zugelassenen Krankenhaus zu vermitteln. Für die ambulante Behandlung im Krankenhaus gelten die Bestimmungen über die vertragsärztliche Versorgung entsprechend.

Ausnahmen von diesen Vorgaben bestehen dann, wenn eine Behandlung innerhalb der an sich vorgesehenen Frist aus medizinischen Gründen nicht erforderlich ist. Die Pflicht, einen ambulanten Behandlungstermin zu vermitteln gilt zudem auch in den Fällen nicht, in denen verschiebbare Routineuntersuchungen betroffen sind sowie bei Bagatellerkrankungen oder aber in mit diesen vergleichbaren Fällen. Dann hat die Terminservicestelle einen Behandlungstermin lediglich in angemessener Frist zu vermitteln.

Einzelheiten zum konkreten Verfahren werden im Bundesmantelvertrag noch geregelt werden. Da durch das Versorgungsstärkungsgesetz auch ein Prüfungsrecht der Kassenärztlichen Vereinigungen aufgenommen wird, ob an der vertragsärztlichen ambulanten Versorgung teilnehmende Leistungserbringer den sich aus ihrer Zulassung ergebenden Versorgungsauftrag auch tatsächlich erfüllen, ist die Regelung zur Einführung von Terminservicestellen sicherlich von nicht zu unterschätzender Bedeutung für Vertragsärzte, die ihren Versorgungsauftrag nicht entsprechend den einschlägigen rechtlichen Vorgaben erfüllen.

VI. Besondere Versorgungsformen und Vergütungssysteme

Auch hinsichtlich einzelner besonderer Versorgungsformen sowie mit Blick auf bekannte Vergütungssysteme der vertragsärztlichen Versorgung sieht das Versorgungsstärkungsgesetz einige grundlegende Änderungen und Weiterentwicklungen vor.

1. Ambulante spezialfachärztliche Versorgung

Die im Jahr 2012 in dieser Form in das SGB V eingeführte besondere Versorgungsform der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung als „dritter Versorgungs-Sektor“ wird durch das Versorgungsstärkungsgesetz in weitergehendem Umfang geregelt und in der Umsetzung erleichtert.

Zum Zwecke der engeren Verzahnung des ambulanten mit dem stationären Sektor entfällt beispielsweise die bisherige Beschränkung der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung auf schwere Verlaufsformen bei onkologischen und rheumatologischen Erkrankungen. Zudem wird der Bestandsschutz für Krankenhäuser, die die Genehmigung nach § 116 b SGB V in der Vergangenheit – nach altem Recht – erhalten haben, auf drei Jahre befristet. Die ursprünglichen Planungen, einen unbegrenzten Bestandsschutz zu gewähren, wurden wieder aufgegeben.

2. Neuregelungen bei den Selektivverträgen

Selektrivverträge müssen zukünftig vor ihrem Abschluss nicht mehr verpflichtend den zuständigen Aufsichtsbehörden vorgelegt werden. Stattdessen wird ein optionales Anforderungs- und Prüfungsrecht der Behörden unmittelbar verbunden mit stärkeren Sanktionsmöglichkeiten eingeführt. Außerdem wird der Umfang der Gestaltungsfreiheit erhöht. Gegenstand der Verträge können zukünftig auch Leistungen sein, die nicht der GKV-Regelversorgung zuzuordnen sind.

3. Neuerungen zur hausarztzentrierten Versorgung

Auch die Vorgaben für die hausarztzentrierte Versorgung und deren Verträge werden gelockert. Damit einher geht eine Entbürokratisierung. Detailregelungen müssen nicht mehr in der Satzung selber aufgenommen, sie können stattdessen in den Teilnahmeerklärungen aufgeführt werden.

Weiterhin soll es zu einer Erweiterung des Leistungsumfangs der Verträge kommen. Leistungen können über die GKV-Regelversorgung hinausgehen. Angesprochen sind damit laut Gesetzesbegründung z. B. neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden oder die Verordnung von OTCArzneimitteln, allerdings nicht von Life-Style-Arzneimitteln.

Außerdem soll auch das Gesamtvergütungs-Bereinigungsverfahren zukünftig beschleunigt werden. Die gesetzlichen Krankenversicherungen müssen die erforderlichen arzt- und versichertenbezogenen Daten spätestens drei Wochen vor dem Quartal, in dem die hausarztzentrierte Versorgung beginnt, zur Verfügung stellen. In diesem Zusammenhang wird legislativ die Möglichkeit einer vorläufigen Bereinigung geboten bei regional geringen Versichertenzahlen und geringem Bereinigungsvolumen.

VII. Veränderung der Bedarfsplanung

Nachdem bereits durch das Versorgungsstrukturgesetz 2012 eine umfassende Reform der Bedarfsplanung umgesetzt wurde, wird nunmehr der Gemeinsame Bundesausschuss dazu verpflichtet, bis Ende 2016 neuerlich die Bedarfsplanungs-Richtlinie zu überarbeiten. Im Vordergrund steht dabei der Wille des Gesetzgebers, eine bedarfsgerechte und möglichst kleinräumige Bedarfsplanung umzusetzen. Dem Gemeinsamen Bundesausschuss wird aufgegeben, bei der Berechnung der Verhältniszahlen von Einwohnern zu Ärzten neben der demographischen Entwicklung auch die regionalen Strukturen sozialer Natur und bezogen auf die Morbidität zu berücksichtigen. Das Kriterium der kleinräumigen Bedarfsplanung wird zukünftig vor allem im Bereich der Psychotherapie von Bedeutung sein.

Zum Abbau der Unterversorgung werden weiterhin durch das Versorgungsstärkungsgesetz Landesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen dazu verpflichtet, Zulassungsbeschränkungen in anderen Gebieten anzuordnen, sofern in betroffenen Gebieten eine bestehende oder in absehbarer Zeit drohende Unterversorgung nicht behoben werden kann.

Zudem werden durch Ermächtigung an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte bei der Feststellung einer Unterversorgung nicht mehr berücksichtigt.

VIII. Förderung der Weiterbildung, Etablierung von Förderfonds

Das Versorgungsstärkungsgesetz sieht zudem im Sinne der Stärkung der vertragsärztlichen Versorgung ganz konkrete Fördermaßnahmen vor bzw. gewährt für bestimmte Vorhaben die Möglichkeit der Einrichtung entsprechender Förderfonds.

1. Förderung der Weiterbildung

Die bislang bestehende finanzielle Förderung der Weiterbildung im Bereich der Allgemeinmedizin wird auf die fachärztliche Grundversorgung ausgedehnt. Bundesweit sollen 1.000 fachärztliche Weiterbildungsstellen gefördert werden, im Bereich der Allgemeinmedizin wird die Zahl auf 7.500 Stellen erhöht. Die Förderung erfolgt durch eine gemeinschaftliche Finanzierung der KVen und Krankenkassen. Ergänzende Fragestellungen dazu müssen auf Bundesebene in den dafür vorgesehenen Gremien nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes noch geklärt werden.

2. Sicherstellung der Versorgung durch Strukturfonds

Künftig besteht zugunsten von KVen generell die Möglichkeit, einen Strukturfonds zur Finanzierung von Fördermaßnahmen zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zu bilden. Dies soll nicht nur bei Unterversorgung oder besonderem lokalen Versorgungsbedarf gelten, da – so die Gesetzesbegründung – es den Kassenärztlichen Vereinigungen erleichtert werden muss, entsprechende Fördermaßnahmen zu ergreifen. Mittel des Strukturfonds sollen – dies ist bereits geltendes Recht – insbesondere für Zuschüsse zu den Investitionskosten bei einer Neuniederlassung oder der Gründung von Zweigpraxen, für Zuschüsse zur Vergütung und zur Ausbildung sowie für die Vergabe von Stipendien verwendet werden.

3. Innovationsfonds

Das Versorgungsstrukturgesetz sieht die Einrichtung von Innovationsfonds zur Förderung von neuen Versorgungsformen in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Versorgungsforschung mit einem Volumen von knapp 300 Mio. Euro vor.

Zur Verteilung der Mittel wird beim Gemeinsamen Bundesausschuss ein Innovationsausschuss eingerichtet. Die Förderungsschwerpunkte und -kriterien sowie Entscheidungen über die Mittelvergabe werden vom Innovationsausschuss ausgeführt.

Die Antragsteller können aus unterschiedlichen Bereichen kommen und sind z.B. Forschungseinrichtungen universitärer und nicht universitärer Natur, Krankenkassen und ihre Verbände, Vertragsärzte, Kassenärztliche Vereinigungen, Krankenhäuser und Medizinischen Versorgungszentren sowie Patientenorganisationen nach § 140 f SGB V.

Die Fördermittel sollen aus Geldern der Krankenkassen und des Gesundheitsfonds resultieren.

IX. Psychotherapieversorgung und Psychotherapierichtlinie

Das Versorgungsstärkungsgesetz sieht vor, dass Psychotherapeuten zukünftig dazu berechtigt sein sollen, fachgruppenbezogen stationäre Einweisungen zu veranlassen und zudem auch rehabilitative Leistungen zu verordnen.

Der Gemeinsame Bundesausschuss wurde zudem dazu beauftragt, die Psychotherapierichtlinie zu überarbeiten. Bis zum 30.06.2016 sollen in dieser Ergänzungen zur Flexibilisierung des Therapieangebotes beschlossen werden. Dazu gehört die Einrichtung von psychotherapeutischer Sprechstunden und Gruppentherapien sowie ein vereinfachtes Antrags- und Gutachterverfahren. Weiterhin soll der Gemeinsame Bundesausschuss Regelungen treffen, die helfen sollen, Wartezeiten auf den Therapieplatz zu verringern.

Nach der Einführung der psychotherapeutischen (Akut-)Sprechstunde – den vorstehenden Ausführungen folgend bis zum 30.06.2016 – werden die Terminservicestellen bei den Kassenärztlichen Vereinigungen zudem auch Termine für die psychotherapeutische Versorgung zu vermitteln haben.

X. Zweitmeinungsverfahren

Im Rahmen planbarer operativer Eingriffe wird Patienten zukünftig das Recht zugebilligt, ein Zweitmeinungsverfahren in Anspruch zu nehmen. Der behandelnde Arzt muss den Patienten mindestens zehn Tage vor dem geplanten Eingriff mündlich über den Anspruch auf eine Zweitmeinung aufklären.

Der Anspruch auf Zweitmeinung beinhaltet eine neue Leistung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, sodass davon auszugehen ist, dass diese auch separat vergütet wird.

Der Gemeinsame Bundesausschuss muss zum Zwecke der Umsetzung des Zweitmeinungsverfahrens eine Richtlinie erlassen und einzelne Fragestellungen darin klarstellen. Es geht dabei konkret darum, welche Eingriffe erfasst werden sollen, welche Ärzte entsprechend konsultiert werden können und wie die Vergütung im Einzelnen erfolgt.

XI. Sonstige Regelungen

Daneben enthält das Versorgungsstärkungsgesetz selbstverständlich noch eine ganze Reihe weiterer neuer Regelungen, die sich auf die vertragsärztliche Versorgung auswirken werden. Ergänzend sei daher noch auf einige weitere dieser Regelungen abgehoben.

1. Delegation ärztlicher Leistungen (§ 87 SGB V)

Im Rahmen der vorgesehenen Überarbeitung des EBM sollen einzelne Vergütungspositionen konkret geschaffen werden, die Delegationsleistungen betreffen. Es soll in diesem Zusammenhang zur deutlichen Ausdehnung der Möglichkeiten der Delegation auf die gesamte – auch fachärztliche Regelversorgung kommen, ohne eine Beschränkung auf unterversorgte Gebiete wie bisher.

Der Gesetzgeber folgte damit der Erkenntnis, dass der demographische Wandel und der medizinisch-technische Fortschritt das ambulante Versorgungssystem vor sehr große Herausforderungen stellen. In einigen Regionen – so die Gesetzesbegründung – wird absehbar die Bevölkerungszahl sinken und das Durchschnittsalter der zu versorgenden Versicherten ansteigen. Um die ambulante Versorgung auch in Zukunft flächendeckend sicherzustellen, seien die bisherigen Maßnahmen zur Entlastung der Ärzte sowie zur Konzentration auf originäre ärztliche Tätigkeiten auszubauen. Um das bestehende Potential für eine Delegation ärztlicher Leistungen zur Entlastung voll auszuschöpfen, sollen die bisherigen Beschränkungen beseitigt werden.

Die Delegation ärztlicher Leistungen ist nach den Vorgaben des SGB V und des Bundesmantelvertrages der Ärzte bekanntlich durchaus bereits möglich. Das Versorgungsstärkungsgesetz – so die Gesetzesbegründung weiter – verfolge daher nunmehr das Ziel, dass die delegierten Leistungen auch abgerechnet werden können.

Natürlich bleibt es bei der Verantwortung des Arztes für die entsprechenden von ihm delegierten Leistungen. Er hat zudem zu überprüfen, welche Leistungen überhaupt delegiert werden können und muss dies an den Fähigkeiten der Mitarbeiter ausrichten. Er muss weiterhin die entsprechenden Leistungen selbstverständlich auch überwachen.

2. Job-Sharing

Die Regelungen zum Job-Sharing gehen auf der Grundlage der noch aktuell gültigen Regelungen dahin, dass sich Ärzte, die gemeinsam im Job-Sharing tätig werden wollen, gegenüber dem Zulassungsausschuss bzw. der Kassenärztlichen Vereinigung dazu verpflichten müssen, den Praxisumfang nicht wesentlich zu erhöhen. Es wird lediglich eine geringe Steigerungsmöglichkeit als zulässig anerkannt.

Das Versorgungsstärkungsgesetz bietet zukünftig die Möglichkeit, im Rahmen einer Ausnahmeregelung für fallzahlunterdurchschnittliche Praxen ein „Anwachsen“ bis zum Fallzahldurchschnitt zu erreichen. Bei psychotherapeutischen Praxen soll darüber hinaus die Besonderheit gelten, dass sogar über den Fallzahldurchschnitt hinaus die Praxis weiter hochgefahren werden kann,

3. Erleichterung der Kooperationen beim Notdienst

Den Kassenärztlichen Vereinigungen wird durch das neue Gesetz die Möglichkeit geboten, den Notdienst auch durch Kooperationen und eine organisatorische Verknüpfung mit zugelassenen Krankenhäusern sicherzustellen. So können z. B. Notarztpraxen in den Räumlichkeiten von Kliniken betrieben werden. Es besteht daneben auch die Möglichkeit der Einbeziehung der Krankenhausambulanzen.

4. Regelmäßige Anpassung des EBM

Seit jeher wird bemängelt, dass der EBM den tatsächlichen Kosten einzelner Leistungen nicht entspricht. Das Versorgungsstärkungsgesetz führt eine verpflichtende regelmäßig durchzuführende betriebswirtschaftliche Überprüfung der Kalkulationen der Leistungsbewertungen ein, einhergehend mit einer Aktualisierung im Falle der festgestellten Notwendigkeit. Ziel ist die Preis- und Kostenentwicklung, den Wandel der Versorgungsstrukturen und Neuerungen der technischen Ausstattung finanziell angemessen zu berücksichtigen.

In der Gesetzesbegründung zum Versorgungsstärkungsgesetz ist der entsprechende Hintergrund der vom Gesetzgeber erkannten Anpassungsnotwendigkeit ausdrücklich beschrieben. Der einheitliche Bewertungsmaßstab sei ein wesentliches Element zur Anreizsetzung im Hinblick auf den Umfang und die Struktur der Versorgung mit vertragsärztlichen Leistungen in der medizinischen Versorgung. Eine kontinuierliche Anpassung an die rasche Entwicklung der medizinischen Wissenschaft sei Voraussetzung für eine Verbesserung der Versorgung. Regelmäßig seien daher auch die Leistungsbewertungen betriebswirtschaftlich neu zu kalkulieren. Nur so könnte raschen Veränderungen der Versorgungsstrukturen, der technischen Ausstattung sowie der Preis- und Kostenentwicklung entsprochen werden. Natürlich werde auf diese Art und Weise auch für Honorarverteilungsgerechtigkeit gesorgt.

An dieser Stelle bleibt im Sinne der vertragsärztlichen Tätigkeit zu hoffen, dass diese Vorgaben und Ausführungen auch wirklich ernst genommen werden und es sich nicht nur um wohl gemeinte Worte handelt.

Zudem enthält das Versorgungsstärkungsgesetz mit Blick auf die Honorarverteilungsgerechtigkeit noch eine weitere Neuerung. Ab dem 01.01.2017 soll es zum Ausgleich unbegründeter regionaler Ungleichheiten bei der morbiditätsorientierten Gesamtvergütung kommen. Geplant ist eine einmalige Anpassung und Erhöhung des Aufsatzwertes bei den KVen, bei denen die durchschnittlichen morbiditätsorientierten Gesamtvergütungen unter dem Durchschnitt aller KVen liegen. Umverteilungen zu Lasten einzelner Kven sind nicht geplant.

5. Medizinische Behandlungszentren für Erwachsene

Das Versorgungsstärkungsgesetz regelt die Voraussetzungen zur Zulassung von Medizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen. Vorbild sind insoweit die bereits existierenden Sozialpädiatrischen Zentren.

XII. Krankenhausbehandlung

Abschließend werden nun noch einzelne Regelungen dargestellt, die primär den Krankenhausbereich als Adressaten betreffen, durchaus aber Auswirkungen auf den ambulanten vertragsärztlichen Sektor haben können

1. Entlassmanagement im Krankenhaus

Die Krankenhausbehandlung umfasst zukünftig auch ein geordnetes Entlassmanagement des Krankenhauses im Rahmen der Beendigung des stationären Aufenthaltes des Patienten und des Übergangs in die ambulante Versorgung nach dem Krankenhausaufenthalt.

Davon umfasst sein wird die Verordnung von Arzneimitteln, dies allerdings jeweils in der kleinsten Packungsgröße, sowie von Heilmitteln für maximal sieben Tage. Weiterhin sind Krankenhäuser im Rahmen des Entlassmanagements dazu berechtigt, die Arbeitsunfähigkeit nach der Entlassung zunächst zu bescheinigen.

Auch hinsichtlich dieser Neuregelung im Versorgungsstärkungsgesetz bedarf es der Ausgestaltung einer konkreten Umsetzungsrichtlinie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss.

2. Zulassung von Krankenhäusern zur ambulanten Versorgung

Der Zulassungsausschuss wird durch das Versorgungsstärkungsgesetz zukünftig dazu verpflichtet, Krankenhäuser zur ambulanten Versorgung zuzulassen, wenn eine Unterversorgung oder ein zusätzlicher lokaler Versorgungsbedarf festgestellt wird. Aus der bisherigen „Kann-Vorschrift“ wird somit eine „Muss-Vorschrift“. Dadurch entfällt die Ermessensentscheidung des Zulassungsausschusses in diesem Bereich in der bislang geltenden Form und es kommt zu einer zwingenden Zulassungsverpflichtung, wenn nicht besondere Gründe festzustellen sein sollten, die der Zulassung widersprechen. Der darauf bezogene Beschluss ist jeweils nach zwei Jahren zu überprüfen.

3. Erweiterung der Möglichkeiten zur Zulassung von Hochschulambulanzen

Die Ermächtigung von Hochschulambulanzen zur ambulanten Versorgung wird durch das Versorgungsstärkungsgesetz erweitert. Neben den bisher gültigen Voraussetzungen zur Ermächtigung in dem für Forschung und Lehre erforderlichen Umfang können zukünftig auch solche Patienten in die Behandlung einbezogen werden, die wegen Art, Schwere oder Komplexität ihrer Erkrankung einer Untersuchung oder Behandlung durch die Hochschulambulanz bedürfen. Dafür besteht grundsätzlich allerdings ein Überweisungserfordernis vom Facharzt.

Zukünftig ist in den genannten Konstellationen eine Ermächtigung durch den Zulassungsausschuss nicht mehr notwendig. Es wird vielmehr unmittelbar bei Erfüllung der Voraussetzungen eine Ermächtigung kraft Gesetz zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung begründet.

Die genauere Festlegung der Merkmale der zu behandelnden Patienten, die der Regelung unterfallen sollen, werden durch den Spitzenverband der Krankenkassen, durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung sowie die Deutschen Krankenhausgesellschaft festgelegt. Es können dabei auch Besonderheiten im Hinblick auf das Überweisungserfordernis in entsprechende Vereinbarungen aufgenommen werden.

Die Leistungen der Hochschulambulanz werden unmittelbar über einen Direktvertrag mit den Krankenkassen vergütet. Die Höhe der Vergütung muss so bemessen sein, dass sie die Leistungsfähigkeit der Hochschulambulanz bei wirtschaftlicher Betriebsführung gewährleistet.

XIII. Zusammenfassung und Fazit

Das Versorgungsstärkungsgesetz, das ausgehend von seiner konkreten Bezeichnung im Wesentlichen der Stärkung der Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherungen dienen soll, enthält für die vertragsärztliche Praxis eine ganze Reihe besonders wichtiger Regelungen. Teilweise beziehen sie sich unmittelbar auf die Strukturen der vertragsärztlichen Versorgung, teilweise wird Einfluss auf die Honorierung der Leistungen sowie förderungswürdige Sachverhalte genommen.

Der Gesetzgeber setzt damit letztlich konsequent seinen Weg der Liberalisierung der vertragsärztlichen Versorgungsstrukturen fort. Viele Regelungen betreffen dabei Erweiterungen der bereits bestehenden strukturellen Vorgaben sowie Erleichterungen in der Umsetzung dieser Vorgaben. Daneben ist sicherlich die partielle Verschärfung der Regelungen zur Praxisnachfolge von erheblicher Brisanz. Gerade diese Regelung zeigt, dass man regelmäßig frühzeitig und umsichtig Planungen im vertragsärztlichen Bereich ausführen muss, um mit den gesetzlichen Vorgaben in einer Form umzugehen, die die angestrebten Ziele erreichen lassen.

Der Wettbewerb wird im vertragsärztlichen Versorgungsbereich zukünftig weiter zunehmen. Der Gesetzgeber sieht dies als ein grundlegendes Instrument zur Versorgungsstärkung an. Durch das Versorgungsstärkungsgesetz sind in diesem Zusammenhang die rechtlichen Vorgaben keinesfalls einfacher, sondern letztlich in Teilen sogar komplexer geworden. Sie müssen im Lichte der Reformbemühungen der vergangenen mehr als zehn Jahre gesehen werden und ergeben ein in sich aufeinander aufbauendes System der Stärkung ambulanter vertragsärztlicher Versorgungsstrukturen.

Dieses System sollte Vertragsärzten und Vertragspsychotherapeuten jedenfalls in Grundzügen bekannt sein. Nur so wird jeder für sich selber die Fragen der Möglichkeiten der konzeptionellen Ausgestaltung und Weiterentwicklung der eigenen Praxisstruktur sinnvoll beantworten können. Die vorstehenden Ausführungen werden dabei einen ersten Einstieg in die Thematik ermöglichen.

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Stellungnahme Justitiar zum Versorgungsstärkungsgesetz 2015 (PDF)

Autor

Dr. Thorsten A. Quiel
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
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