03.11.2023, Berlin | zns bvdp bvdn bdn

EuGH: Ärzte müssen Kopie der Patientenakte gratis herausgeben

Urteil des EuGH vom 26.10.2023 – C-307/22

Die deutsche Regelung, wonach PatientInnen in den Praxen ab der ersten Kopie ihrer Patientenakte bezahlen müssen, wurde durch den EuGH gekippt. Ab sofort müssen ÄrztInnen und Krankenhäuser müssen ihren PatientInnen unentgeltlich eine erste Kopie ihrer Patientenakte herausgeben. Erst für eine zweite Kopie darf Kostenersatz verlangt werden. Anderweitige deutsche Regelungen verstoßen gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Im Streitfall hatte ein Patient den Verdacht, dass seiner Zahnärztin ein Behandlungsfehler unterlaufen ist. Um dies überprüfen zu können, verlangte er eine Kopie seiner Patientenakte. Nach den deutschen Regelungen können Ärzte und Zahnärzte hierfür Ersatz der durch das Kopieren entstehenden Kosten verlangen. Der Patient ist allerdings der Ansicht, dass ihm die Aktenkopie dennoch unentgeltlich zusteht. Der Bundesgerichtshof hatte mit Beschluss vom 29.03.2022 – VI ZR 1352/20 die Angelegenheit an den EuGH verwiesen. In einem ähnlichen Fall hatte das Landgericht Dresden am 29.05.2020 – 6 O 76/20 rechtskräftig entschieden, dass eine Patientin gegen die sie behandelnde Klinik einen unentgeltlichen Anspruch auf Kopien sämtlicher Behandlungsdaten hat.

Eine Gratis-Kopie ist Patientenrecht

Nach Auffassung des Senats sei in der DSGVO das Recht des Patienten verankert, eine erste Kopie seiner Patientenakte zu erhalten, grundsätzlich ohne dass ihm hierdurch Kosten entstehen. Ärzte und Krankenhäuser könnten ein Entgelt erst verlangen, wenn ein Patient später eine weitere Kopie haben wolle.

Grund sei, dass Ärzt:innen hier datenschutzrechtlich als „Verantwortliche“ für die Daten ihrer Patienten anzusehen seien. Als solche seien sie verpflichtet, eine erste Kopie der Daten unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Dabei seien Patient:innen nicht verpflichtet, ihre Anträge zu begründen.

Erfasst sind alle Daten

Auch in der Akte enthaltene Dokumente müssten zur Verfügung gestellt werden, soweit diese zum Verständnis erforderlich sind. Umfasst sind danach alle Daten aus der Patientenakte, die Informationen wie beispielsweise Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte oder Angaben zu Behandlungen oder Eingriffen enthalten.

Entgegenstehende Regelungen in Deutschland sind danach nicht mit der DSGVO vereinbar. „Selbst mit Blick auf den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Behandelnden dürfen die nationalen Regelungen dem Patienten nicht die Kosten einer ersten Kopie seiner Patientenakte auferlegen“.

Anmerkung

Im Konflikt des Streits stehen Patientenrechtegesetz von 2013, das Ärzt:innen nach § 630g BGB verpflichtet, dem „Patienten auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die ihn betreffende Patientenakte zu gewähren“. Nach § 603g Abs. 2 S. 2 BGB hat der Patient die Kosten für eventuell anzufertigende Abschriften dem Behandelnden zu erstatten.

Auch die Berufsordnung sieht in § 10 Abs. 2 vor, dass die Patienten für die Duplikate zahlen. Die Höhe der Kopierkosten ist nicht konkret geregelt, in Analogie zum Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) können Fach- und Hausarztpraxen aber für bis zu 50 Seiten 0,50 Euro je Seite vom Patienten verlangen, für jede weitere Seite 0,15 Euro.

Im Fall des EuGH berief sich der Patient aber nicht auf das BGB, sondern auf die DSGVO. Dort regelt Artikel 15 Abs. 3, dass Arztpraxen eine (erste) Kopie der personenbezogenen Daten zur Verfügung stellen müssen – und zwar unentgeltlich. Lediglich für weitere Anfertigungen könnten von den Praxen in Rechnung gestellt werden. Somit kollidiert das Recht auf kostenlose Herausgabe mit dem BGB, wonach Ärzt:innen für die Herausgabe von Kopien ein Entgelt verlangen dürfen.

Der EuGH hat diese Frage zu Gunsten der Patienten im Sinne eines. unentgeltlichen DSGVO-Auskunftsanspruchs geklärt, unabhängig vom Zweck der Herausgabe (auch wenn  wenn der Patient seine Akte für einen datenschutzfremden Zweck nutzen will, z.B. Prüfung eines Behandlungsfehlers; um sich bei einem anderen Arzt eine Zweitmeinung zu einer Diagnose einzuholen; um den neuen Hausarzt über seine Krankengeschichte informieren).

Aus medizinrechtlicher Sicht waren bis dato die Beweggründe für die Kopieerstellung ausschlaggebend, darauf kommt es nicht mehr an.

Umfang des Informationsanspruchs

Nach der DSGVO-Regelung können Patienten einen kostenlosen Anspruch ableiten, ob in der betreffenden Praxis ihre personenbezogenen Daten verarbeitet werden. Der Begriff „Verarbeitung“ wird in Art. 4 Nr. 2 DSGVO definiert und bezieht sich u.a. (mit oder ohne automatisiertem Verfahren) auf die Erhebung, die Erfassung, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Veränderung, die Verwendung und andere Tätigkeiten im Kontext personenbezogener Daten. In Nach Rdnr. 35 des Urteils haben Patient:innen das Recht, eine originalgetreue Reproduktion ihrer personenbezogenen Daten zu erhalten, denen eine weite Bedeutung beizumessen ist und die Gegenstand von Vorgängen sind, die als Verarbeitung durch den für diese Verarbeitung Verantwortlichen eingestuft werden müssen (vgl. Urteil des EuGH vom 04.05.2023 – C:2023:369, Rn. 28).Darunter fällen sämtliche Daten, die eine Praxis für den Patienten vorhält.

Handelt es sich jedoch um „mehrere Leitzordner“, kann ein Kostenforderung durchaus gerechtfertigt sein. So heißt es in Rdnr. 36 des Urteils:

Folglich ergibt sich aus Art. 12 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO zum einen, dass die betroffene Person einen Anspruch darauf hat, eine erste unentgeltliche Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, zu erhalten, und zum anderen, dass dem Verantwortlichen unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit eingeräumt wird, entweder ein angemessenes Entgelt zu verlangen, bei dem die Verwaltungskosten berücksichtigt werden, oder sich zu weigern, aufgrund des Antrags tätig zu werden, wenn dieser Antrag offenkundig unbegründet oder exzessiv ist.

Die Praxen dürfen allerdings nur die Kopien selbst in Rechnung stellen, nicht aber auch den Arbeitsaufwand des Personals bei der Anfertigung des Duplikats. Weder der EBM noch die Gebührenordnung für Ärzte bieten entsprechende Ziffern zur Abrechnung

Aufgrund dieser Entscheidung sollten Patientenakten jedoch nicht zu sehr beschränkt werden. Berufsrechtlich muss die Patientenakte den gesamten Kontakt zwischen Arzt und Patient dokumentieren. Dazu zählen nach § 630g BGB „Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen“. Besteht der Verdacht auf einen Behandlungsfehler, dient die Patientenakte als entscheidendes Beweismittel. Ärzte sollten also darauf achten, die Dokumentation umfänglich zu führen.

Weitere rechtliche Aspekte

Wichtig ist, Originalakten nicht herauszugeben. Ärzt:innen sind verpflichtet, diese zehn Jahre nach Behandlungsschluss aufzuheben. Eine Ausnahme bilden Röntgenbilder, die dürfen Praxen im Original an andere Ärzte weiterleiten (Platzhalter mit Datum und Namen einfügen).

Wird die Patientenakte nicht in Papierform – beispielsweise als Karteikarte –, sondern elektronisch geführt, dann können Ärzt:innen die Kopien auch auf einem Datenträger wie USB-Sticks oder CDs aushändigen. Bei einer elektronischen Akte müssen Ärzt:innen unbedingt eine manipulationssichere Software verwenden.

Die Herausgabefrist hat sich nach dem Urteil etwas verlängert: Während § 630g BGB von „unverzüglich“ spricht, räumt die DSGVO eine Frist von vier Wochen ein.

Die Regelungen gelten ausschließlich für die jeweiligen Patienten und von ihnen benannte Bevollmächtigte wie Rechtsanwälte, sofern sie vom Patienten von der Schweigepflicht entbunden wurden. Wollen aber beispielsweise Erben und Angehörige die Unterlagen eines Verstorbenen bekommen, müssen sie in jedem Fall für die Anfertigung von Abschriften zahlen, unabhängig davon, ob sie sich auf den Datenschutz oder das Patientenrecht berufen.

Es gibt jedoch auch Fälle, in denen Ärzt:innen der Bitte um Aushändigung der Akte nicht nachkommen müssen – zum Beispiel nach § 630g Abs. 1 BGB aus therapeutischen Gründen oder bei „sonstigen entgegenstehenden erheblichen Rechten Dritter“. Gemeint sei hier die Gefahr von Selbst- oder Fremdgefährdung, so van Hövell. Ärzte können die Anfertigung von Kopien aber nicht einfach so verweigern, sondern müssen den Patienten eine entsprechende Begründung liefern.

 

 

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